An der EM 1989 gabs noch ein Bügelbrett

Grosse Veränderungen haben ihren Ursprung vielfach nicht in einem Gesetz, sondern kommen aus der Gesellschaft selbst. So ist das beispielsweise auch mit der Fussball-EM der Frauen.

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Liebe Lia Wälti

Die Fussball-Europameisterschaft der Frauen findet 2025 in der Schweiz statt. Die Engländerinnen werden also hierzulande zur Titelverteidigung einlaufen. Sie, Frau Wälti, werden die Schweizer Nati als Captain aufs Spielfeld führen und die grossen Fussballnationen Europas herausfordern. Es bleiben zwei Jahre Zeit, den Grossevent auf die Beine zu stellen. Ein ambitionierter Zeitplan, welcher im Männersport unvorstellbar wäre. Doch die Fussballspielerinnen sind geübt darin, einen Rückstand aufzuholen.

Als Deutschland 1954 im Wunder von Bern das 0:2-Hintertreffen wettmachte und Weltmeister wurde, waren viele der Weltklassespieler noch Amateure. Der Männersport entwickelte sich in den Folgejahren zum Profisport. Das Fussballspiel der Frauen hingegen wurde im Land des Weltmeisters Deutschland zuerst einmal verboten. «Im Kampf um den Ball verschwindet die weibliche Anmut, Körper und Seele erleiden unweigerlich Schaden, und das Zurschaustellen des Körpers verletzt Schicklichkeit und Anstand», urteilte der Deutsche Fussballbund damals. 

Über fussballerische Aktivitäten von Frauen wurde daraufhin auch in der Schweiz nicht mehr berichtet. Mit grosser Verspätung bekamen die Frauen in Europa Spiellizenzen und eigene Ligen. Doch die sportliche Anerkennung blieb weiterhin verwehrt: Noch 1989 erhielten die deutschen EM-Siegerinnen anstelle einer Prämie ein Kaffeeservice und ein Bügelbrett überreicht. Inzwischen bekommt der Fussball der Frauen mehr Respekt. In Deutschland oder England ist die gesellschaftliche und mediale Beachtung und damit auch die wirtschaftliche Bedeutung massiv gewachsen.

Die EM 2025 kann auch bei uns viel in Schwung setzen. Doch bis heute können die wenigsten Spitzenfussballerinnen von ihrem Beruf leben. Die lapidare Begründung lautet meist, dass der Fussball der Frauen halt weniger populär sei und deshalb weniger Publikum, Geld und Investitionen anlocke. Es wird so getan, als sei dies gottgegeben. Dabei spielen Politik und Medien eine entscheidende Rolle.

Im Skisport werden Frauen- und Männerrennen seit je gleichbehandelt. Vreni Schneider wurde einst genauso bejubelt wie Pirmin Zurbriggen. Niemand hätte ihre Leistungen damit relativiert, dass Alberto Tomba schneller um die Slalomstangen kurvte. Auch heute werden die Riesenslalomläufe von Lara Gut und Marco Odermatt nicht übereinandergelegt. Unterschiede zwischen den Frauen- und Männerrennen können der sportlichen Attraktivität nichts anhaben. 

Der Hauptgrund dafür ist ein systemischer: Weltcup-Skirennen werden seit Jahrzehnten vom gebührenfinanzierten Schweizer Fernstehen in die Wohnstuben übertragen. Die Frauenrennen genauso wie jene der Männer. Bei Teamsportarten jedoch – ganz speziell beim Fussball – erhielten die Wettbewerbe der Frauen hingegen lange kaum Sendezeiten. In meiner Kindheit wurde im «Sportpanorama» dem Waffenlauf mehr Beachtung geschenkt als dem Fussball der Frauen.Wenn ein gebührenfinanzierter Sender beschliesst, ein Spiel zu übertragen oder ein Unternehmen sich zum grossen Sponsoring verpflichtet: Dann geschieht nicht «nichts». Es verändern sich auch individuelle Präferenzen. Es wird Publikum generiert, Investitionen in Ausbildung und Professionalisierung ermöglicht, der Wettbewerb der Talente angekurbelt. Die Qualität und Attraktivität eines Spiels steigen, das bringt Idole hervor und macht einen Sport populär.

Es gibt wenig Bereiche, wo der Grundsatz «Angebot schafft Nachfrage» mehr zutrifft als beim Sport: Wie aus dem Nichts entstehen alle vier Jahre Tausende von Curlingfans und -fachleute in der Schweiz. Die Erklärung ist einfach: SRF überträgt bei den Olympischen Spielen alle Partien live – eine Zeit lang sogar mit Beni Thurnheer am Mikrofon.

Womit wir bei der Politik wären. SRF agiert auf einem verfassungsmässigen Programmauftrag, den wir im Parlament präzisiert haben. Darin steht, dass SRF die gesamte Bevölkerung inhaltlich umfassend versorgen soll und dabei das Verständnis, den Zusammenhalt und den Austausch unter den Landesteilen fördern soll. Daraus ist kein direkter Auftrag für Fussballübertragungen abzuleiten. Aber noch viel weniger ein Auftrag, (fast) nur Spiele der Männer zu berücksichtigen. 

Die Politik kann nicht dafür sorgen, dass die Nati-Spielerinnen gleich viel verdienen wie Granit Xhaka und seine Nati-Kollegen. Zumindest nicht im Clubfussball, der privat organisiert ist. Was die Politik aber sehr wohl etwas angeht, ist die Frage, ob Mädchen die gleichen Ausbildungschancen erhalten wie Knaben. Oder die Frage, ob Staats- und Verbandsinvestitionen gleichmässig verteilt werden. Und ganz besonders, ob der Fussball der Frauen im gebührenfinanzierten Fernsehen genauso die Möglichkeit erhält, seine Popularität zu steigern, wie der Fussball der Männer dies seit Jahrzehnten konnte. Die jüngste Entwicklung stimmt mich hoffnungsvoll.

Der Weg dazu kann über Gesetze laufen – wie in den USA: Das «Title IX»-Gesetz sorgte ab 1972 dafür, dass etwa Universitätsgelder im Sport für Frauen und Männer gleichberechtigt ausgegeben werden müssen. Was verhinderte, dass man – wie in Europa – nur einen Bruchteil in den Frauenfussball investierte. Die Folge: Die USA haben Weltfussballerinnen und internationale Idole wie Mia Hamm und Megan Rapinoe hervorgebracht.

Manchmal aber ist es auch ein gesellschaftlicher und marktwirtschaftlicher Wandel – indem etwa ein Grossereignis die Bevölkerung mitreisst. Die EM 2025 hat genau dieses Potenzial: dass künftig mehr Investitionen in Möglichkeiten für alle Fussballbegeisterten fliessen. Aber auch für den Respekt Frauen gegenüber, ihren eigenen Weg zu gehen. 

Früher wollten die Töchter wegen dieser Ereignisse die neue Vreni Schneider werden. Heute die neue Lara Gut. In Zukunft noch viel mehr die neue Lia Wälti, Alisha Lehmann oder Ana-Maria Crnogorcevic. Nur wenn Kinder Profifussballerinnen sehen, ist es für sie denkbar, selbst eine zu werden. Und Vorbilder des eigenen Geschlechts machen Mut, den Horizont weiterzudenken. In allen Lebensbereichen. Mein Fazit als Politikerin und frühere Fussballspielerin: Gesellschaftliche Veränderungen erfolgen nicht immer über die Gesetzestafel. Sie können auch systemisch erfolgen. Damit das funktioniert, braucht es einen wuchtigen Impuls und müssen die politischen Rahmenbedingungen gleichberechtigt ausgestaltet sein. 

Ich freue mich auf faire Spiele und strahlende Siegerinnen. Auf grossartige Pässe und Tore. Ich werde bei Ihren Spielen mit meinen Töchtern mitfiebern.

Mit dankbaren Grüssen, Kathrin Bertschy

Diese Kolumne erschien am 25.04.2023 im Tages-Anzeiger.