Mein Votum zur Pflegeinitiative

Im Nationalrat habe ich die Position der Grünliberalen Fraktion zur Volksinitiative «Für eine starke Pflege (Pflegeinitiative)» resp. zum indirekten Gegenvorschlag dargelegt:

Die grünliberale Fraktion unterstützt das Projekt der Kommission, den indirekten Gegenvorschlag für eine Stärkung der Pflege, und das beinahe in der Gesamtheit der dazugehörigen Anträge. Die Stärkung der Pflege ist schlicht eine Notwendigkeit: Wir brauchen eine Ausbildungsoffensive und eine Aufwertung des Berufs der Pflegefachkräfte.

Ich möchte für die Problemanalyse ein paar Punkte herausgreifen, die für uns Grünliberale besonders zentral sind:

1. Wir haben seit Jahren eine Ausbildungsquote, die unter dem Bedarf liegt – deutlich darunter! -, insbesondere im Bereich des diplomierten Personals. Kantone und Spitäler bilden nicht ausreichend Personal aus. Es ist eine klassische Trittbrettfahrer-Problematik: Man bildet zu wenig aus und deckt den Bedarf, indem man auf Personal zurückgreift, das in anderen Spitälern, Kantonen oder im Ausland ausgebildet wurde. Das ist beschränkt sinnvoll, vielleicht um Schwankungen auszugleichen. Es ist aber kein geeignetes Vorgehen auf Dauer, es kann kein Konzept sein. Es wäre eine klassische Verbundaufgabe, und sie ist zurzeit ungenügend gelöst.

2. Wir haben eine demografische Entwicklung mit mehr Menschen, die alt sind, die älter werden. Die Babyboomer-Generation geht in Rente, und sie erfreut sich einer langen Lebenserwartung. Damit steigt aber auch der Anteil der speziell pflegebedürftigen Personen, die mehrfach und chronisch krank sind. Andere westliche Länder haben dieselbe Entwicklung. Um den Mangel an Pflegefachpersonal zu kompensieren, können wir also nicht auf ausländische qualifizierte Personen zurückgreifen, was heute sehr stark gemacht wird: 40 Prozent des neu angestellten Personals stammt aus dem Ausland. Das ist keine Option für die Zukunft: Diese Länder haben selber einen Versorgungsengpass, und die Schweiz wird nicht mehr in diesem Ausmass darauf zurückgreifen können, zumal es auch unabhängig davon umstritten und ethisch fragwürdig ist, wenn wir Talente und Ausbildung in anderen Ländern abgraben.
Wir haben gehört, wie der Bedarf ist: Er wird auf 40 000 zusätzliche Personen geschätzt, die wir bis 2025 in Pflege und Betreuung brauchen. Das geht nur mit einer attraktiven Ausbildung, einem attraktiven Berufsbild. Es braucht eine Fachkräfte-Initiative in diesem Bereich.

3. Wir haben eine Fehlkonzeption in der Ausbildung. Die Berufsleute haben bereits eine Erstausbildung abgeschlossen. Wenn sie später eine HF-Ausbildung machen, sind die Ausbildungs- und Praktikumslöhne derart tief, dass es nicht zum Leben reicht. In der Kommission wurden Monatslöhne von 1300 Franken genannt. Die Empfehlungen der Organisationen der Arbeitswelt sind ähnlich tief. Die Ausbildung ist so konzipiert, dass es maximal unattraktiv ist, die diplomierte Pflege zu erlernen. Verantworten tut dies die öffentliche Hand, sie ist Arbeitgeberin. Wir brauchen existenzsichernde Löhne während der Ausbildung, ansonsten werden diese Ausbildungen nicht absolviert.

4. Wir haben die Problematik, dass der Verantwortung des Personals in keiner Art und Weise entsprochen wird. Das sind keine Hilfskräfte, diese Personen tragen viel Verantwortung. Sie sind einer hohen Belastung ausgesetzt. Es betrifft den Bereich der menschlichen Sicherheit. Pflegefachkräfte arbeiten Hand in Hand mit Ärztinnen und Ärzten zusammen. Es sind zwei verschiedene Berufsbilder mit je eigenen Kompetenzen. Es gibt eine Arbeits- und Aufgabenteilung. Die eigenverantwortliche Leistungserbringung in diesem Bereich der Medizin ist wichtig und richtig. Es sind dafür ausgebildete Personen, es sind keine Hilfskräfte. Sie müssen weg von diesem Status gemäss KVG. Mit dem parlamentarischen Projekt werden künftig Leerläufe und Doppelspurigkeiten wegfallen, wenn es bei typischen Pflegeleistungen bei chronisch Kranken nicht mehr eine Unterschrift eines Arztes, einer Ärztin braucht – was auch Zeit und Kosten spart.

Noch zwei Worte zur Volksinitiative: Die Initiative gäbe der Pflege eine Sonderstellung in der Verfassung. Es wäre bedauerlich, wenn das notwendig wäre! Der indirekte Gegenvorschlag geht schneller, und wir bevorzugen diesen Weg. Dieser Weg ist eine Notwendigkeit. Die Kantone müssen ihre Pflicht wahrnehmen und den Beruf attraktiver machen. Der Bundesbeitrag ist für uns daher eine sinnvolle und eine notwendige Investition. Nichts zu tun, zuzuwarten, dürfte uns teurer zu stehen kommen, vielleicht nicht direkt finanziell, aber in Form von Zeitmangel und Besorgnis um eine gute Versorgung unserer Elterngeneration, in Form mangelnder Würde für Pflegebedürftige, in Form eines Pflegenotstands und unwürdiger Berufsbedingungen der Pflegenden selber.

Die grünliberale Fraktion unterstützt darum den indirekten Gegenvorschlag.