Tag 75, Lwiw

Unsere Reise nach Bern neigt sich dem Ende zu. Der letzte Halt ist in Lwiw. Ein stolzer Löwe ziert das Wappen der Unesco-Weltkulturerbe Stadt. Das Wappentier erinnert an die früheren italienischen und französischen Namen Leopoli und Léopol – und unermüdliche Löwenkämpfe. Während der bewegten Geschichte hat Lwiw viele Namen getragen, und mit ihnen Friedens- und Schreckenszeiten erlebt.

Lemberg hiess die Stadt in ihrer ersten Blütezeit während der Donaumonarchie. In der Universitätsstadt vermischten sich polnische, ukrainische und österreichisch-deutsche Einflüsse und machten sie zur Kulturhochburg mit einer übernationalen Identität. Lwow wurde sie genannt, während der Schreckensherrschaft, während und nach dem Zweiten Weltkrieg, als beinahe die gesamte jüdische Einwohnerschaft durch den Nazi-Terror vertrieben wurde oder ihr Leben verlor. Lwiw heisst sie, seit sie 1991 Teil der unabhängigen Ukraine ist. Allein in den letzten hundert Jahren wechselte ein halbes Dutzend Mal die staatspolitische Zugehörigkeit. Mit ihr wandelten sich Bevölkerung, Sprache und Kultur. Ganz eng mit dieser Geschichte verwoben ist jene von Hersch Lauterpacht. Als Jude war es ihm verwehrt, an der Universität Lemberg zu graduieren. Als junger Jus-Student emigrierte er deshalb 1919 nach Wien und später nach London. Dort wurde er zur prägenden Figur des modernen Völkerrechts. Von Lauterpacht stammt unter anderem den Begriff des ‘Verbrechens gegen die Menschlichkeit’. Lauterpacht hatte in Lemberg das Beste und das Schlechteste von Europa kennengelernt und er widmete fortan sein Leben dem Ausbau eines rechtlichen Rahmens für das Zusammenleben verschiedener Völker, Kulturen und Religionen. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich Europa mit der Entwicklung der Europäischen Union selber einen starken Rahmen für Frieden, Wohlstand und Stabilität geben.

Die Schweiz liegt im Herzen von Europa. Von einem Schicksal, wie jenem Lwiws ist die Schweiz zum Glück verschont geblieben. Vielleicht auch deshalb wird der Wert guter Beziehungen mit Europa hier gerne unterschätzt. Doch auch bei uns haben Einflüsse aus allen Richtungen dieses Land über die Jahrhunderte geprägt. Wir profitieren vom europäischen Binnenmarkt wie kein Staat in der EU. Das vorliegende Rahmenabkommen mit der EU wird von den meisten Parteien als lästige Zwangsmassnahme, zugunsten künftiger Beziehung mit der EU gesehen. Das Abkommen ist für die Schweiz jedoch nicht einfach eine aufgezwungene Pflicht. Es garantiert auch für uns einen starken Rahmen für Stabilität und Wohlstand und ermöglicht überhaupt erst, dass sich unsere guten partnerschaftlichen Beziehungen weiterentwickeln können. Ein Abkommen schützt auch uns vor Willkür und Unfairness. Diese Chance sollten wir uns nicht entgehen lassen. Dafür werde ich mich in der kommenden Legislatur einsetzen – im Nationalrat, und noch lieber natürlich: im Ständerat.